Wer an einem kalten Silvestermorgen seine Bahnen in einem der vier auf 34 °C beheizten Außenpools zieht, dem kommt vielleicht der Gedanke: Darf man das noch in Zeiten des Energiemangels und der Klimakrise? Im "1. Bier- und Wohlfühlhotel der Welt" in Riedelsbach müssen die Gäste kein schlechtes Gewissen haben. Das Hotel ist klimaneutral, und zwar nicht durch irgendwelche Ausgleichspflanzungen tausende Kilometer entfernt. Im Hause Sitter wird die Energie selbst erzeugt. Das Hotel im hintersten Winkel des Bayerischen Waldes ist der wohl größte Energie- und Wärmeerzeuger im deutschen Gastgewerbe.
Wassertemperatur 34 Grad – 365 Tage im Jahr. Und alles garantiert klimaneutral.
Auf Erfolgen ausruhen ist keine Option bei der Gastgeberfamilie Sitter. Über den "Waidla Wirt" Bernhard Sitter haben wir erstmals 1997 berichtet, als er mit seiner Idee "Leasing-Sau" für Schlagzeilen in der Münchner Boulevardpresse sorgte. Aus dem Gut Riedelsbach wurde im Laufe der Jahre das Landhotel Sitter und schließlich 2007 das "1. Bier- und Wohlfühlhotel der Welt" in Deutschland. Damit sich die Gäste dort immer wieder aufs Neue wohlfühlen, bleibt kein Stein lange auf dem anderen.
Drei Generationen Sitter (von links): Bernhard, Petra, Sohn Bernhard jun. (und Diplom Biersommelier) mit Tochter Isabella, Schwiegersohn Ewald mit Sohn Felix, Tochter Stephanie und Schwiegersohn Marco (und Diplom Biersommelier).
Wie die Familie Sitter tickt, zeigt exemplarisch die Corona-Zeit. "Als im März 2020 der Lockdown kam, waren wir ein paar Tage in Schockstarre", erzählt Petra Sitter. "Danach haben wir uns gesagt, das ist eine einzigartige Möglichkeit, geplante Baumaßnahmen vorzuziehen." Und so wurde bis Ende 2021 fleißig investiert, das Wirtshaus umgebaut, die Hotelküche und das Lager neu gebaut, der Solepool eröffnet und vieles mehr.
Marketingstrategen würden Bernhard Sitter vermutlich als begnadeten Networker bezeichnen. Wer den Gastwirt aus Riedelsbach einmal getroffen oder ihn im Fernsehen gesehen hat, vergisst ihn nicht. Wir haben uns all die Jahrzehnte prima mit Bernhard Sitter verstanden, nicht zuletzt weil er das Motto unserer Zeitschrift, die 5 "A" (Alles Anders Als Alle Anderen), wie kaum ein Zweiter verkörpert. Bernhard Sitter tritt als Unikat auf, mit zwei verschiedenen Haferlschuhen und in Tracht, und er füllt diese Rolle mit Witz, Verstand, Geschichten und Freundlichkeit aus.
Alles anders als die anderen? Wenn im Bayerischen Wald große Hotels auf Wellness setzen, nennen die Sitters ihr Haus "Wohlfühlhotel". Bundesweit bekannt geworden ist Bernhard Sitter als "1. Diplom Biersommelier Wirt Deutschlands", wobei die Medien ja gern verkürzen und ihn meist als "1. Biersommelier Deutschlands" präsentierten.
Rund ums Haus wachsen Aroniabeeren. Die werden gesammelt, von der Spezialitäten-Brennerei Liebl aus Bad Kötzting abgeholt und kommen in der Flasche als "Edition Bierhotel Obstgeist Aroniabeere" zurück nach Riedelsbach.
Diese Spezialität können die Gäste im hauseigenen Shop als Mitbringsel und Andenken kaufen – neben vielen anderen Raritäten, die es nur im Hause Sitter gibt. Man greife zum "Paukenschlag" in der Dose – eine Bockbier-Cuvée aus den besten Jahrgangsbock- und Starkbieren von sechs Brauereien aus der Region. Ein Muss für begeisterte Gäste ist das "I love Bierhotel Bier" in der Dose – ein gehopftes Lager mit Zitrusnoten. Mit ihrem Shop macht die Wirtefamilie jedenfalls so richtig Umsatz. Wer nach Anregungen für den Außer-Haus-Verkauf sucht, ist in Riedelsbach genau richtig.
Das Bierhotel hat natürlich auch eine Hausbrauerei samt "Bieriger Braugarten". Und nicht nur Bernhard Sitter ist Diplom Biersommelier, sondern auch sein Sohn Bernhard und sein Schwiegersohn Marco. Einer der drei führt stets durch das Bierkulinarium, ein fünfgängiges Menü samt passenden Bierspezialitäten, das für 65 Euro pro Person gebucht werden kann.
Ein Muss für begeisterte Gäste ist das "I love Bierhotel Bier“ in der Dose – ein gehopftes Lager mit Zitrusnoten. Foto: Gastrep
Um das Thema Bier abzurunden: Im Ausschank sind ständig ca. 100 Biere. Die Bier-Blockhütte im Garten ist das weltweit 1. Hotelzimmer mit Bier-Zapfstation.
Bier wird überdiese nicht nur am Tresen und im Shop verkauft, sondern auch analog mit Kühlschränken an allen Pools (da machen die Gäste Striche für jedes Bier, das sie entnehmen. O-Ton Bernhard Sitter:"Da geht was!") und modern per Online-Shop.
Die Online-Bierprobe, die während der Corona-Zeit gestartet wurde, macht Bernhard Sitter bis heute mit großem Erfolg weiter – was ebenfalls Zusatzumsätze bringt und Werbung fürs Bierhotel im gesamten deutschsprachigen Raum macht.
Die Gastgeber denken aber nicht nur an die Umsätze und die Gäste, sondern auch an die Mitarbeiter. Kleiner muffiger Pausenraum? Die gewaltige neue Küche ist mit Balkon gebaut worden, auf dem die Mitarbeiter bei schönem Wetter neue Kraft tanken können – mit Blick auf die wunderschöne Hügellandschaft vor dem Haus und die Gemüsebeete auf und den Gemüsegarten unterhalb des Balkons. Regionalität geht hier kurze Wege.
Auf das klassische Mittagsgeschäft wird verzichtet. Die ¾-Bierhotel-Verwöhn-Pension beinhaltet ein erweitertes Frühstücksbuffet, nachmittags ab 13:30 Uhr ein Kaffee- & Kuchen-Buffet samt Suppensnack und Abendessen (Mehr-Gänge-Menü). Weil als Abendessen mehrmals die Woche ein Buffet geboten wird, haben die Sitters zusätzlich noch eine Frontcooking-Küche eingerichtet.
Jetzt kommt die spannende Frage: Wie viele Hunderte an Zimmern hat das 1. Bier- und Wohlfühlhotel der Welt in Deutschland eigentlich – angesichts von zwei großen Küchen, wunderschönen Gasträumen drinnen und einer großzügigen Terrasse draußen, angesichts von vier Außenpools und kleinem Hallenbad, 18 Whirlpools und gewaltigen Sauna- und Erholungslandschaften? Die überraschende Antwort lautet: 65 Zimmer inklusive der 17 Suiten. Hinzu kommt, dass die Zahl der Tagesgäste im "Wohlfühl-Bereich" drastisch heruntergefahren wurde.
Bernhard Sitter kennt nicht nur Gott und die Welt, auch die bekanntesten Hoteliers des Landes zählen zu seinen Freunden, die gern mal in Riedelsbach vorbeikommen. Einer der Granden der deutschen Hotelszene aus Baden-Württemberg rief nach einem Rundgang aus: "Sitter, Du spinnst!" Für Irrsinn hielt er beispielsweise, dass die Sitters für ihren wunderschönen Dachpool extra einen Turm bauen ließen – aber auf weitere Zimmer oder Suiten im Turm verzichtet haben.
Der bekannte Hoteliers-Gast wollte es dann ganz genau wissen und hat gemeinsam mit Bernhard Sitter nachgezählt. Allein im Ruhebereich des 1. Bier- und Wohlfühlhotels der Welt in Deutschland kamen sie auf 326 Sitz- und Liegeplätze. Da braucht wahrlich kein Gast einen Platz mit Handtuch reservieren.
Warum das so ist, erklärt Bernhard Sitter so: "Viel Platz ist der neue Luxus!" Wenn die gestressten Großstadtmenschen in den Metropolen, die in den kommenden Jahren immer heißer und menschenfeindlicher werden dürften, nach Ruhe und Entspannung suchen, werden sie in Riedelsbach noch Platz in verschwenderischer Fülle vorfinden – und diesen wahren Luxus genießen.
Was treibt Petra und Bernhard Sitter an? Warum lassen sie sich seit Jahrzehnten ständig etwas Neues einfallen und schrecken vor keiner Baumaßnahme und Investition zurück? "Unsere Kinder und ihre Partner haben alle eine Ausbildung absolviert und könnten in ihren Berufen bei festen Arbeitszeiten gutes Geld verdienen", so Bernhard Sitter. "Damit die nach Hause zurückkommen und im
elterlichen Betrieb Führungspositionen übernehmen, muast earna scho a gscheide Bude histain."
Da ist es schön zu sehen, wie stolz Oma und Opa sind, wenn ein glückliches Enkelkind auf die Terrasse gelaufen kommt. Und die Gäste wissen diese familiäre Atmosphäre sichtlich zu schätzen.
Regionalität radikal umfassend gedacht: Neben den vielen regionalen Spezialitäten aus der Küche kommen im 1. Bier- und Wohlfühlhotel der Welt in Deutschland auch der Strom und die Wärme aus der unmittelbaren Region (ca. 200 Meter vom Haus entfernt) und zu 100% aus regionalen Rohstoffen.
Ende 2015 las Bernhard Sitter einen Bericht über ein Unternehmen, das Holzverstromung auch für Unternehmen aus der Gastrobranche anbot. Damals war die Welt noch in Ordnung, billiges Gas aus Russland das willkommene Schwungrad für die Wirtschaft und Energie dementsprechend günstig.
Nun ist der Gastwirt aus Riedelsbach kein Hellseher, der in die Zukunft schauen kann. Aber der Klimawandel war nicht mehr zu leugnen, und dass mit der Abkehr von fossilen Brennstoffen Energie teurer wird, lag für Bernhard Sitter auf der Hand. Was würde dann aus den schönen Außenpools werden? Würden sich die Gäste abwenden von dieser Art der "Energieverschwendung"?
Der Gedanke, bei der Energieversorgung autark zu werden, ließ ihn nicht mehr los, also nahm er Kontakt zur Wegscheid-Entrenco GmbH auf. Dabei stellte sich heraus, dass für Gastro-Unternehmen eine kleinere Version zur Holzverstromung vorgeschlagen wurde – mit halber Leistung, aber mit zwei Drittel der Kosten. Das gefiel der Wirtefamilie Sitter nicht. Also wurde fleißig gerechnet, ob eine große Anlage zu finanzieren sei und rentabel ist. Kollegen rieten eher ab. Eine vergleichbare Anlage hatte noch kein deutscher Gastro-Betrieb gebaut. Aber vermutlich gab gerade dieses neue Alleinstellungsmerkmal den Ausschlag.
Die Verstromungsanlage liefert mehrere Millionen kWh Strom und Wärme pro Jahr. Die Herkunft des Holzes lässt sich genau nachvollziehen: zu 100% aus der Region!
Für eine Investitionssumme von zwei Millionen Euro (samt den Leitungen zum Hotel und der Asphaltierung des Anfahrtswegs) bauten die Sitters eine große Holzverstromungsanlage, die 2017 eingeweiht wurde und pro Jahr ca. zwei Mio. kWh Strom und rund fünf Mio. kWh Wärme liefert.
Der benötigte Rohstoff ist Energieholz. "Für unsere Energieerzeugung wird kein einziger Baum extra gefällt", so Bernhard Sitter. "Beim Kauf sind wir Kunde des Freistaats Bayern, 100% des Holzes kommen aus dem Bayerischen Wald. Die Herkunft ist dokumentiert."
Wer Details wissen möchte: Jeden Sonntag um 10 Uhr lädt Bernhard Sitter interessierte Gäste zu einer Führung durch die Anlage ein.
Das Grundprinzip ist vereinfacht gesagt: Das angelieferte Holz wird professionell gehackt, in der Anlage getrocknet und die Gase, die bei der Verbrennung entstehen, treiben einen Motor an, der im Generator Strom erzeugt. Dabei entsteht heißes Wasser, das im Hotel als Wärme genutzt wird. Entscheidend ist: Die Anlage, die von Schweigersohn Marco betreut wird, läuft seit 2017 quasi störungsfrei und rechnet sich für die Wirtefamilie. Dazu kommt das Image, als eines der ersten Hotels weltweit Strom und Wärme zu 100% CO2-neutral direkt vor Ort zu produzieren.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Zusätzlich erzeugt das 1. Bier- und Wohlfühlhotel der Welt in Deutschland auch 150.000 kWh Strom pro Jahr durch Photovoltaik und verfügt seit zehn Jahren über E-Lade-Stationen, die vor kurzem auf insgesamt 22 Lade-Stationen aufgestockt worden sind.
Der Artikel ist in der Ausgabe 4/2024 des Gastronomie-Report erschienen.
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