Gäste zu Mitgliedern machen!

Fotos: Wine in the Hood

Stammgäste sind in unserer schnelllebigen Zeit zu einem raren Gut geworden. Neue Wege bei der Gästeansprache und Gästebindung geht die Weinbar Wine in the Hood in Wiesbaden. Sie lädt ein zum "Aperitif for Lifetime".

Wie klingt das? Gegen eine einmalige Zahlung von 280 Euro wird der Gast bei jedem Besuch mit einem 0,1-Glas Wein "aufs Haus" für sich und eine Begleitung begrüßt. Im weinaffinen Wiesbaden ist diese Offerte gut angekommen.

"Wir hatten bereits 100 Members, bevor wir unser Lokal im Dezember vergangenen Jahres aufgesperrt haben", erzählt Wirt Kai Kenngott. Solch ein Erfolg kommt aber nicht von ungefähr. "Wir waren bspw. auf der Rheingauer Weinwoche mit unseren Flyern und witzigen Sprüchen unterwegs und haben Menschen, die wir gern als Gäste begrüßen wollten, direkt angesprochen. So schafften wir in zwei Wochen 100 Abschlüsse." Auch "Baustellenpartys" haben dabei geholfen, eine enge Gästebindung noch vor der offiziellen Eröffnung zu erreichen.

Aber rechnet sich der "Aperitif for Lifetime" aus Sicht des Gastronomen wirklich? Was, wenn Schluckspechte jeden Tag samt Anhang auf ein Glas Wein vorbeikommen? Jeder Wirt hat offenbar die Gäste, die er verdient und die er erreichen möchte. "Wir haben bislang nur positive Erfahrungen gemacht", so Kenngott. "Zwar kommen unsere Mitglieder (inzwischen sind es rund 170) gerne und regelmäßig und bringen immer wieder neue Gäste mit. Aber es kommt kaum vor, dass ein Gast nach dem Aperitif gleich wieder geht. Im Schnitt geben die Mitglieder pro Besuch rund 16 Euro für weitere Getränke und Essen aus."

Ein genauer Blick auf die Idee "Aperitif for Lifetime" lohnt. In ihr steckt unglaublich viel Potenzial. Und sie spiegelt Werte wider, die für gute Gastronomie stehen. Die "Mitglieder" des Wine in the Hood bekommen z. B. nicht einen QR-Code, den sie auf dem Handy vorzeigen. Sie erhalten vielmehr wertig gestaltete Ausweise, vergleichbar einer Kreditkarte – mit Foto, dem Namen, dem Zusatz "Proud Member of the Hood" und der Mitgliedsnummer. Eine niedrige Nummer zeigt an, dass der betreffende Inhaber von Anfang an mit dabei ist im Club.

Und wenn Schnapszahlen anstehen, lässt sich das prima fürs Marketing nutzen. Wer hätte nicht Lust, das 222. oder 333. Mitglied zu werden? Auf die Frage von Freunden und Bekannten, was es Neues gibt, haben die "Proud Member" endlich mal was zu erzählen und vorzuzeigen: "Stell Dir vor, ich bin jetzt Mitglied in einem Lokal. Immer wenn ich hingehe, bekomme ich einen kostenlosen Wein – selbst für meine Begleitung! So schaut der Ausweis aus." Die nächste Frage des Bekannten lässt sich leicht erraten: "Nimmst Du mich mal mit?"

Dafür, dass ständig neue Gäste ins Lokal kommen, muss der Wirt also keine Werbung machen. Die kommen quasi von selbst und müssen "nur" noch überzeugt werden, dass das Wine in the Hood weitere Besuche wert ist.

Was für einen Wein kredenzt man Gästen, die aufs Haus trinken? In den AGBs (hier geht alles korrekt ab) ist vermerkt, dass die Member Anspruch haben auf ein kostenloses Glas vom "Wine of the Week". "Im Gastro-Alltag haben wir das schnell gelockert", erzählt der Wirt. "Wir bieten jede Woche je sechs offene Rot- und Weißweine und dazu zwei offene Roséweine. Aus diesem Angebot können die Mitglieder frei wählen. Ich wär' schließlich ein schlechter Gastgeber, wenn ich einem Gast einen Riesling aufzwinge, obwohl er diese Rebsorte nicht so gut verträgt."

VDP-Gewächse im Ausschank

Damit hat sich die Frage erübrigt, ob als Freigetränk irgendein 0815-Billigwein herhalten muss. "Bei unseren offenen Weinen handelt es sich überwiegend um VDP-Gewächse, die preislich noch ins Kalkulationsschema passen", so Kenngott.

Der 53-Jährige kann auf die Erfahrungen aus mehr als 30 Jahren Karriere im Gastgewerbe zurückgreifen: Ausbildung zum Hotelfachmann, erste Sporen im Brenners Park Hotel in seiner Heimatstadt Baden-Baden verdient (O-Ton Kenngott: "Da habe ich die klassischen Werte verinnerlicht: Der Gast steht im Mittelpunkt. Wir sind gute Gastgeber und leben Gastfreundschaft."), danach führende Stellungen in der Spitzenhotellerie in New York und in der Schweiz, zwischenzeitlich auf einer Hotelfachschule den Betriebswirt gemacht, zuletzt als Hotelchef in Basel gearbeitet.

Dann kam der Lockdown und danach kein Zurück zur Normalität. "Ich hatte zunehmend das Gefühl, dass in der Hotellerie der Gast nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern eher im Weg. Alles konzentriert sich darauf, Antworten auf die unlösbaren Personalprobleme zu finden", so Kai Kenngott. Auch der Zufall, besser gesagt die Liebe, kam ins Spiel: Seine neue Partnerin lebt und arbeitet in Wiesbaden, er in Basel. 340 Kilometer Pendeln ist keine Dauerlösung.

Warum nicht etwas Neues machen, mit knapp über 50 den Sprung in die Selbstständigkeit wagen? Kai Kenngott schaute sich in Wiesbaden nach Pachtobjekten um, sortierte alles aus, was viele Mitarbeiter erforderte, und wurde schließlich fündig: ein kleines, schmuckes Lokal mit 30 Plätzen drinnen und 15 Außenplätzen. Das Konzept hatte er längst im Kopf und wählte es auch als Lokalnamen: "Wine in the Hood".

Lieber CCCO als CEO

"Mit Wein bin ich als Baden-Badener quasi aufgewachsen, das Hood kommt von Neighbourhood und steht für einen Nachbarschaftstreff, in dem sich die Gäste wie zuhause fühlen und sogar Member of the Hood werden können", erklärt Kenngott.

Auch sein Titel auf der Visitenkarte bringt es auf den Punkt: Da steht nicht Wirt oder Geschäftsführer, sondern CCCO – Cheese, Charcuterie und Community Officer. Als solcher verwöhnt er seine Gäste mit Weinen, die vor allem von familiengeführten Weingütern im Rheingau, in Rheinhessen und Rheinland-Pfalz kommen (wobei auch Weinbaugebiete wie Portugal und Ungarn prominent vertreten sind).

 

Für das leibliche Wohl sorgt er mit Käse- und Wurstspezialitäten, ebenfalls mehrheitlich aus der Region. Das "ER" ist wörtlich gemeint. Im "Wine in the Hood" gibt es keine Küchenbrigade, der Wirt steht höchstpersönlich jeden Abend (von dienstags bis samstags) hinter der Theke und schmeißt den Laden mit wenigen Aushilfskräften (dafür gibt es einen Pool von vier bis fünf wechselnden Mitarbeitern).

"Ich habe in meinem Lokal die Möglichkeit, klassische Tugenden wie Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Aufmerksamkeit zu pflegen", erzählt Kai Kenngott. Das sind viele Gäste offenbar nicht mehr gewohnt, umso größer ist ihre Begeisterung. "Das ist ja super, wenn wir hier einfach einen Wein probieren können, bevor wir ihn bestellen." Solche Sätze hört der Jung-Wirt mit 53 Jahren immer wieder.

"Die Leute haben einfach Bock auf neue Ideen, sie mögen gute Weine und freuen sich, dass mein Lokal das Viertel belebt hat", so das Fazit von Kai Kenngott nach knapp vier Monaten. Solch ein Start ist kein Selbstläufer, man muss schon aktiv auf die Nachbarschaft zugehen.

In der Nähe des Lokals gibt es bspw. ein kleines Frauen-Fitness-Studio. Kenngott lud die Betreiberinnen auf ein Glas Wein, man kam ins Plaudern und startete schließlich die gemeinsame Aktion: "Gym & Gin – It's all about the Balance". Das Angebot umfasst eine Stunde Personal Training im Gym und anschließend einen Gin-Cocktail oder ein anderes Getränk nach Wunsch in der Weinbar.

Die Idee ist prima angenommen worden, führt zu weiteren Synergie-Effekten und hat einen Anteil daran, dass sich das "Wine in the Hood" über einen deutlichen Frauenüberschuss bei den Gästen freuen darf (bekanntlich ein Top-Kriterium für gastronomischen Erfolg). "Wein wird immer weiblicher und immer beliebter, gerade auch bei jungen Frauen", so die Erfahrung von Kai Kenngott. "Die haben keine Scheu mehr, zu zweit oder zu dritt in aller Öffentlichkeit eine Flasche Wein zu trinken. Das hat es so vor 30 Jahren noch nicht gegeben."

Er wäre ein schlechter Wirt, wenn er diese Welle nicht reiten würde. Kürzlich war die bekannte Winzerin Juliane Eller mit ihren Juwel Weinen beim Wine Tasting im "Hood" zu Gast. Diese Wine Tastings sind generell ein großer Erfolg, bei Juliane Eller, die im Netz 50.000 Followerinnen hat, war das Lokal ausgebucht – mehrheitlich mit weiblichen Gästen.

Dass sein Publikum überdurchschnittlich jung und weiblich ist, führt der Gastronom auch auf die lockere Gastansprache (in der Hood duzt man sich!) zurück, mit der sich das Lokal von der Vielzahl der Weinbars in der hessischen Landeshauptstadt abhebt.

Ein weiteres Markenzeichen des Wine in the Hood sind die Gin- und Wermut-Spezialitäten. Auch dazu hat sich Kai Kenngott besondere Aktionen, z. B. das Wermut-Tasting "Bist du (wer-)mutig genug?", einfallen lassen. "Wir erleben gerade eine Renaissance des Wermuts", so der Wirt. "In Deutschland hat sich eine spannende Craft-Destillerie-Szene entwickelt, dem tragen wir Rechnung mit einem großen Sortiment."

Die Gäste mit spannenden Events immer wieder aufs Neue zu begeistern und die "Hood" weiter auszubauen, sind für Kenngott die nächsten Schritte. "Wir liegen in einer kleinen Fußgängerzone mit vielen originellen Läden wie einem Tattoo-Studio, einer Galerie und einem Nähmaschinenladen", so Kenngott. "Hier bieten sich noch viele Kooperationen an."

Sein Sprung von der Hotellerie in die Gastronomie ist geglückt. Und sein Erfolgsrezept sollte die Kollegen aufhorchen lassen. Kai Kenngotts Botschaft: "Besinnen wir uns auf die Stärken unserer Branche. Stellen wir den Gast wieder in den Mittelpunkt."

www.wineinthehood.de

Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe 2/2023 des Gastronomie-Report.