Quasi auf dem Sprung nach Stuttgart, wo wir auf der INTERGASTRA unseren neuen Wettbewerb "Restaurant der Zukunft mit der Energietechnik der Zukunft" präsentieren, legen wir einen Zwischenstopp in Leipheim ein und lassen uns im Landgasthof Waldvogel auf den "grünen Weg" bringen.
Manchmal sieht man den Weg vor lauter Elefantengras gar nicht mehr. Umweltfreundliches Wirtschaften ist im Landgasthof Waldvogel keine neue Strategie oder Ausrichtung. "Wir haben schon immer darauf geachtet, dass Energie gespart und Ressourcen so gut es geht geschont werden", berichten die Eheleute Barbara und Gebhard Ihle. Energiesparlampen, Bewegungsmelder, Wasserdurchflussstopper usw. – das alles ist seit langem Standard.
"Man schaltet nicht von heute auf morgen auf umweltfreundlich um. Irgendwann haben wir angefangen und dann mit den Jahren immer weiter überlegt: Was können wir noch besser machen? Welche neuen Möglichkeiten und technischen Lösungen können wir nutzen", erzählt Gebhard Ihle. Der Gasthof ist also seit Jahr und Tag auf dem "grünen Weg".
Dass dieser Weg bereits auf dem Straßenschild steht, ist dem Team aber erst bei der letzten Jahresziel-Planung (JZP) vor Augen geführt worden – manchmal ist man halt ein bisschen betriebsblind. Einmal im Jahr verlässt die komplette Crew den Gasthof und geht für zwei Tage mit einem externen Coach (2009 war es Franziska Schumacher von der Fa. Gastro Power) in Klausur. Zwei Tage, um den Gedanken freien Lauf zu lassen, Schwachpunkte im Betrieb aufzudecken und Ziele fürs nächste Jahr festzulegen. Als es um das Motto für 2010 ging, war es Franziska Schuhmacher, die den Blick auf das Offensichtliche lenkte. Das Motto und bzw. das komplette Konzept des Waldvogels steckt schon in der Adresse: "Grüner Weg 1" in Leipheim.
"Wieso sind wir da nicht längst selbst drauf gekommen?", wundert sich das Wirtepaar. Jetzt wird nicht nur darüber nachgesonnen, wie es auf diesem Weg konsequent weitergeht, sondern auch, wie er den Gästen besser vermittelt werden kann. Was in einer Adresse für Möglichkeiten stecken! Der Leitsatz lautet: Wir gehen den grünen Weg – vom Azubi bis zum Chef, vom Lieferanten bis zum Gast …
Ein wichtiger Teil der "grünen" Möglichkeiten des Waldvogels steckt in der besonderen Betriebsituation. 1981, als der Betrieb von den Eltern übernommen wurde, war es eine Landwirtschaft mit kleiner Gastwirtschaft, gerade mal fünf Tische. "Wir standen damals am Scheideweg, ob wir die Landwirtschaft vergrößern oder die Gastwirtschaft", erinnert sich Gebhard Ihle. Die Entscheidung fiel zugunsten der Gastwirtschaft, später kamen auch Zimmer dazu. Heute verfügt der Gasthof neben dem Restaurant und dem Biergarten über 35 Gästezimmer. Die landwirtschaftlichen Flächen wurden jedoch behalten. Eine mehr als kluge Entscheidung, wie sich bald herausstellte. Denn sie bieten den Wirtsleuten Möglichkeiten, wie sie nur wenige Gastronomen haben.
"Ich habe die Vision eines kleinen Dorfes um unseren Betrieb herum", so der Wirt und gelernte Landwirt. "Dass wir uns selber versorgen, mit allem was man zum Leben braucht." Das große Ziel von Barbara und Gebhard Ihle: In spätestens zehn Jahren soll der Waldvogel autark sein – bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, die direkt auf den Feldern neben dem Gasthof angebaut werden oder von regionalen Partnern stammen, und bei der Energieversorgung.
Die Heizenergie liefert das bereits erwähnte Elefantengras, botanisch Miscanthus, das die Ihles auf 7,5 Hektar angebaut haben. Das Gras stammt aus Asien und zeichnet sich durch ein rasantes Wachstum aus (es wird bis zu vier Meter hoch). "Ich hatte schon seit Jahren nach einem unkomplizierten Gewächs gesucht, mit dem wir heizen können", erzählt Ihle. Schnell wachsende Weidenhölzer wären auch in Frage gekommen, aber das Holz muss erst gelagert und getrocknet werden, bevor es verheizt werden kann – zu umständlich und lagerintensiv. Das Elefantengras ist in Ihles Augen der perfekte Heizstoff für seinen Betrieb. Zwei Jahre musste er sich bis zum ersten Mähen gedulden, dann zeigte sich, dass seine Pläne aufgehen.
Elefantengras ist ein immerwährendes Gewächs. Im März, wenn die "Stängel" abgestorben und ausgetrocknet sind, werden sie gemäht und gehäckselt und können so in der Hackschnitzelheizung verheizt werden. Auch zur Einspreu für Pferde und im Gartenbau eignet sich die Pflanze, so dass es sogar Abnehmer für überschüssige Mengen gibt. Zusammen mit Ihle sind gleich mehrere Bauern in den Elefantengras-Anbau eingestiegen. Nach dem Mähen wächst das Gras wieder nach, täglich mehrere Zentimeter, bis es im März das nächste Mal geerntet wird. Ein immer währender Kreislauf und ein völlig pflegefreies Gewächs, das weder gedüngt noch gespritzt werden muss. Ein Hektar Elefantengras hat etwa den Brennwert von 6.000 bis 8.000 Litern Öl.
Und während es wächst und sprießt, ist es im Waldvogel ganz nebenbei noch eine wichtige Gästeattraktion. Früher hatte der Waldvogel ein Labyrinth im Hanffeld, heute geht es ins Elefantengras. Sobald die Pflanzen eine ausreichende Höhe erreicht haben, kann zur Gaudi der Gäste im Gras herum geirrt werden. Auch zur Eindeckung des Tippis im Biergarten hat Ihle seine Lieblings-Pflanze herangezogen. Weitere Verwendungsmöglichkeiten werden bestimmt noch aufgetan.
Im Ganzen ist die Energieversorgung im Waldvogel ein Mix aus verschiedenen Lösungen. Ein Teil der Energie stammt aus einem kleinen Blockkraftheizwerk im Keller. Sonnenkollektoren sorgen für warmes Wasser und eine Photovoltaik-Anlage auf dem Hochzeitsstadel liefert Strom, der ins öffentliche Netz eingespeist wird. Auf dem neuen Tagungshaus, das in diesem Jahr gebaut wird, soll eine weitere Photovoltaik-Anlage dafür sorgen, dass der Betrieb seine Energie zu 100% selbst erzeugen kann. Derzeit ist es rund ein Drittel.
"Unser Hauptaugenmerk liegt aber darauf, die Energie zu halten, nicht für Nachschub zu sorgen", so Gebhard Ihle. "Wir haben immer darauf geachtet, dass wir gut bauen, so dass z. B. die Isolierung dem höchsten Standard entspricht." Und es geht natürlich auch darum, andere zum Energiesparen anzuhalten. Bei den Gästen funktioniert das naturgemäß nur in begrenztem Umfang. Zwar gibt es auf den Zimmern Hinweise zum Lüften, damit nicht à la "Fenster auf, Heizung rauf" alles nach draußen geballert wird, aber da steckt man nicht drin. "Man muss viele Dinge zum Energiesparen automatisieren", so die Erfahrung von Ihle. "Ich habe von einem neuen System gehört, bei dem sich die Heizung ausschaltet, wenn man das Fenster öffnet – bei den nächsten Zimmerrenovierungen kommt das mit rein."
Damit nicht ständig das Lichtausschalten im Flur vergessen wird, haben Bewegungsmelder die Aufgabe des An- und Ausschaltens übernommen. Im Kühlhaus sorgt eine Zeitschaltuhr dafür, dass das Licht nicht unnötig lange brennt. "Viele Leute sagen: Energiesparen kostet, man muss viel investieren. Das ist Quatsch", erklärt Ihle und als Schwabe muss er es wissen. "Es bringt auf lange Sicht viel und rentiert sich!"
Um den Köchen das Energiesparen beizubringen und ihnen die festgefahrene Marotte "Rein in die Küche, Herd und Lüftung an" abzugewöhnen, ließ sie der Chef rechnen. "Erst hab ich geredet und geschimpft, dann hab ich sie aufschreiben lassen, wann die ersten Essensbestellungen kommen, wie lange die Friteuse, Salamander usw. brauchen, bis sie aufgeheizt sind. Dann hatten sie's kapiert! Gemeinsam haben wir einen Plan erarbeitet, wann welche Geräte eingeschaltet werden müssen, damit Energie gespart und reibungslos gearbeitet werden kann. Klappt ausgezeichnet!", berichtet der Wirt.
Ein wichtiges Anliegen in dieser Sache hat er allerdings noch: "So was gehört mit in die Unterrichtspläne rein! Köche müssen nicht nur kochen können, sondern auch lernen, verantwortungsbewusst zu wirtschaften." Und deshalb nimmt er alle Lehrlinge zum Gemüseanbau mit in den Garten. "So erhalten sie einen ganz anderen Bezug zu Nahrungsmitteln, wenn sie wissen, was da an Arbeit und Wert drin steckt, und dann wird nicht mehr großzügig weggeschmissen oder weggeputzt." Und dann sagt Gebhard Ihle einen sehr wichtigen Satz: "Umweltschutz fängt bei unserer Ernährung an."
Das heißt konkret: Keine Erdbeeren im Winter, kein Fisch aus Australien … Das hat sich herumgesprochen. Aber was ist beispielsweise mit Gurken und Tomaten: Müssen die im Winter in den Salat? Bei der Jahresziel-Planung war sich das Waldvogel-Team einig: "Nein, brauchen wir nicht. Wir wollen weitestgehend unsere eigenen Produkte einsetzen oder von Anbietern aus der Region." Gurken und Tomaten müssen im Winter aufwendig angebaut und herangeschafft werden – also gestrichen. Feldsalat ist dagegen ein anspruchsloses Wintergemüse, das auch bei niedrigen Temperaturen problemlos im Gewächshaus gedeiht und zur Jahrezeit passt. So wurde die Karte überarbeitet und neben Feldsalat finden sich Zuckerhut, Chinakohl, gelbe Rüben, Radicchio und verschiedenen Kohlsorten im Salat wieder – entweder frisch angebaut wie der Feldsalat oder winterfest eingelagert.
Landleben leben, wie der Waldvogel, können leider nur wenige Gastro-Betriebe in Deutschland. Aber die Liebe zur Natur, die Wertschätzung von Lebensmitteln und der Schutz unserer Umwelt sind nicht ortsgebunden.
Erschienen in Gastronomie-Report 1/2010.
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