Ferrari oder BMW haben ausgedient als Statussymbol Nr. 1 in den USA. Den feinen Ami erkannt man daran, dass er Weinkenner ist, edle Tropfen Zuhause im Klimaschrank sammelt und natürlich auch im Lokal mit Kennerblick bestellt. Die US-Gastronomie hat sich auf diesem Trend eingestellt: Wein, speziell im offenen Ausschank, ist zu einem umsatzfördernden Markenzeichen gepflegter Gastlichkeit geworden.
Ein Beispiel dafür ist der Hudson Club in Chicago. Warum wir euch in ein Weinlokal nach Illinois entführen? Weil das, was heute in der US-Gastro-Szene ein Hit ist, garantiert morgen bei uns der letzte Schrei ist.
Schon verrückt, werdet ihr sagen! Da müssen wir uns – als Bierland Nr. 1 in der Welt – schon mit angeblich so trendigen US-Bieren herumschlagen. Und jetzt zeigen uns die Amis auch noch, wo der Bartel beim Wein den Most holt? Aber wenn die US-Gastronomie einen Trend erkannt und besetzt hat, dann macht sie das mit Köpfchen und Geschick. Wir reden hier gar nicht von Gourmet-Tempeln. Was uns beeindruckt, ist die Weinpflege im "casual dining". Wer beispielsweise im Disney World Florida zum Essen geht, der bekommt zum Menü für jeden Gang einen passenden offenen Wein offeriert. Wohlgemerkt, in einem Lokal mit 180 Sitzplätzen. Wo gibt's das bei uns?
Aber es kommt noch besser. Wer Wein liebt, der kommt im Hudson Club in Chicago so richtig auf seine Kosten. In Deutschland wird den Gästen die Lust auf Wein ja oft schon mit einer ausufernden, im Kern aber nichtssagenen Weinkarte verdorben. Nach dem Motto 'Was man mit eigenen Augen sieht, bestellt man viel eher, ist der Chef des Hudson Clubs, Paul Larson, auf die geniale Idee gekommen, Wein genauso zu präsentieren wie Spirituosen, nämlich an der Bar. Aber was heißt hier Bar? Im Hudson Club erstreckt sich die "Wein-Bar" auf 50 Feet Länge, also etwa auf 17 Metern! Während andere Gastronomen ihre Weinschätze im Keller versteckt halten, zeigt Paul Larson seine Weinschätze ganz offen hinter Glas. Ein modernes Weinkühlsystem sorgt dafür, dass die Weine im Lokal perfekt "gelagert" werden können.
Der Gast geht einfach an die Theke, lässt sich fachmännisch beraten, sieht die Flaschen und die Etikette und probiert, probiert, probiert! Zum Hudson Club Wein-Programm gehören: 100, ständig wechselnde Flaschenweine im offenen Ausschank; 200 Flaschenweine, die im Weinschrank präsentiert werden, und als besonderen Service 25 "Flights". Das sind Kostproben von jeweils vier Weinen, die durch Rebsorte, geographische Herkunft oder Herstellungsweise miteinander verknüpft sind. Nach einigen Besuchen im Hudson Club wird so der letzte Hinterwäldler zum Weinexperten. Und die Weinkenntnisse der Gäste sorgen dafür, dass das im Stil der 1940er-Jahre eingerichtete Restaurant (190 Sitzplätze, 60 Plätze an der Bar, Cigar-Lounge mit 25 Plätzen) einen astronomisch hohen Weinumsatz erreicht.
Wein so offensiv und mit solcher Raffinesse zu verkaufen, müsste eigentlich keine amerikanische Spezialität sein! Wollt ihr noch wissen, wo Hudson Club-Chef Paul Larson das gastronomische Handwerk gelernt hat? In Europa! Anfang der 1990-Jahre ist Larson durch die Alte Welt gereist, hat hier gearbeitet (u. a. im Plaza Hotel in Basel) und den europäischen Erfolgsgastronomen über die Schulter geschaut. Dieser Erfahrungsschatz, gemixt mit amerikanischem Service- und Verkaufs-Knowhow, bringt ihm jetzt den Erfolg! Und wir bringen seine tollen Ideen zurück über den Großen Teich.
Dieses Konzept ist im Gastronomie-Report 2/1999 erschienen. Der Hudson Club hat inzwischen leider geschlossen.
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