Unterneukirchen ist ein Ort mit rund 3.000 Einwohnern. Für einen klassischen bayerischen Gasthof zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Wie viele familiengeführte Betriebe auf dem Land machte der Gasthof vor einigen Jahren eine schwierige Phase durch. Heute ist er ein Vorzeigebetrieb, der an vielen Tagen ausgebucht ist. Wie haben die Wirtsleute Ernst und Elisabeth Raspl diesen Turnaround hinbekommen?
Der Gasthof in der Nähe von Altötting ist seit 1914 im Familienbesitz. Für Ernst Raspl war eigentlich immer klar, dass er den Betrieb eines Tages übernehmen würde. So machte er eine Kochlehre und ging auf Wanderschaft (u.a. in die Schweiz). Als sein Vater krank wurde, kam er kurz nach der Jahrtausendwende zurück und übernahm den elterlichen Betrieb 2008 – schuldenfrei, aber scheinbar auch ohne große Perspektiven.
"Der Zahn der Zeit nagte an unserem Gasthof. Die Gäste wurden weniger, immer mehr wanderten ab, auch die Vereine in ihre eigenen Heime (Sportheim, Feuerwehrheim, Tennisheim, Eisschützenheim, Pfarrheim, etc.)", erinnert sich Ernst Raspl. "Die Gäste, die zum á la carte- Speisen gekommen sind, konnte man fast schon an einer Hand abzählen."
Diese Erzählung dürfte vielen bayerischen Wirten bekannt vorkommen. Zu dieser Zeit waren im Gasthof nur noch die Wirtsleute und die Eltern von Ernst Raspl beschäftigt, dazu je nach Bedarf 2-4 Aushilfskräfte auf 450-Euro Basis. „Wenn es so weitergegangen wäre, hätte das Wirtshaussterben auch vor unserem Betrieb nicht Halt gemacht", so die schonungslose Analyse des Wirts.
Aber Ernst Raspl hatte einen Traum. Der Gasthof war bis 1848 eine Schmiede gewesen. Warum nicht an die alten Zeiten anknüpfen, dem eigenen Haus eine spannende Geschichte und eine unverwechselbare Identität geben: "Gasthof Raspl – Zur Alten Schmiede!" Und dieser Traum wurde Wirklichkeit.
Der junge Wirt setzte alles auf eine Karte, schrieb einen Businessplan, bekam als schuldenfreier Betrieb von seiner Hausbank einen Kredit in sechsstelliger Höhe und wagte die Komplettrenovierung. Bei der Konzeptentwicklung fand er in dem österreichischen Inneneinrichter Herbert Koll einen kongenialen Partner. Der Gasthof wurde im Stil einer Alten Schmiede eingerichtet, für die Speisekarte ließ sich Ernst Raspl viele spannende kulinarische Ideen passend zum Thema einfallen.
"Dass man bei uns gut essen kann, das war in der Region durchaus bekannt", so Raspl. „An dem Punkt konnten wir ansetzen und darauf vertrauen, dass ein attraktives Umfeld viele Gäste neugierig machen würde." Man muss das Eisen (in diesem Fall die News: Neueröffnung!) natürlich schmieden, solange es heiß ist: Ein originelles Logo wurde entwickelt, eine neue Website erstellt, Anzeigen geschaltet, Kontakte zu den regionalen Medien geknüpft, etc. Selbst auf Facebook tauchte plötzlich die "Alte Schmiede" auf.
Dieses regional-verwurzelte Konzept war kein Marketing-Gag, es war den Wirtsleuten von Unterneukirchen wie auf den Leib geschmiedet. Ernst Raspl war so überzeugt vom Erfolg, dass er vor der Eröffnung im September 2010 gleich noch einen Jungkoch und weitere Bedienungen einstellte.
Und ja, die "Alte Schmiede" war vom Start weg ein Renner. Erst kamen die Gäste aus einem Umkreis von 10 Kilometern, dann auch immer mehr von auswärts. Die enge Verbindung zum Heimatort bleibt auch dadurch bestehen, dass im Gasthof fast nur Mitarbeiter aus Unterneukirchen beschäftigt sind. Auch die drei Jung-Lehrlinge kommen alle aus dem Ort.
Den Gästen gefiel das Ambiente, sie waren Feuer und Flamme für die Gerichte, die sich Ernst Raspl hatte einfallen lassen, z. B. "Schmiedfeuer" (gegrillte Medaillons von Schweind'l und Pute mit feuriger Soße), "Rostiger Nagel" (gebratene Medaillons auf Röstkartoffeln) oder die große "Richtplatte" für Zwei. Dass bei den Zutaten auf regionale und saisonale Produkte Wert gelegt wird, versteht sich fast von selbst. Die Speisekarte trägt übrigens den wunderschönen Titel "Heimatliebe". Als Volltreffer erwies sich auch die Idee, einen Raum etwas femininer zu gestalten (O-Ton Ernst Raspl: "Die Frauen gehen heute doch öfter weg als die Männer!"), wobei sich dort inzwischen auch die Männer gerne aufhalten.
Natürlich erzählen wir hier im Schnelldurchgang. "Die ersten Jahre waren schon recht turbulent", gibt Raspl zu. "Die Suche nach geeigneten Mitarbeitern kostete viele Nerven und Energie." Aber die gründliche Auswahl hat sich gelohnt. Heute beschäftigt der Gasthof Raspl mehr als insgesamt 35 Mitarbeiter, darunter fünf Köche, drei Restaurantfachkräfte, aber auch viele Bedienungen in Teilzeit. An einem x-beliebigen Montag im Juli gibt's 34 Reservierungen fürs à-la-carte-Abendessen. Ab September ist die "Alte Schmiede" fast durchgängig ausgebucht – bei 140 Sitzplätzen!
Nicht dass der Eindruck entsteht, das alles liege nur am Wirt. Ernst Raspl sagt mit aller Deutlichkeit: "Die Mitarbeiter sind das wichtigste Gut eines Unternehmens! Die Reihenfolge lautet: zufriedene Mitarbeiter, zufriedene Gäste, zufriedener Chef! Aber das geht nur mit anständiger Bezahlung, vernünftigen Arbeitszeiten und einem respektvollen Umgang."
Der Wirt der "Alten Schmiede" kann deshalb das Jammern vieler Kollegen über die Arbeitszeit-Dokumentation nicht nachvollziehen: „Zu einem respektvollen Umgang auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern gehört auch die Dokumentation und Auszahlung von Überstunden! Ja, wie soll ich denn meine Mitarbeiter korrekt und fair bezahlen, wenn ich nicht weiß, wie lang die Fleißigen gearbeitet haben?"
Angesichts des Fachkräftemangels in der Branche läuft aus Sicht des jungen Gastro-Unternehmers vieles falsch bei der Diskussion um den Mindestlohn. "Man könnte als Wirt ja auch die Chance nutzen und sagen: Wir zahlen mehr als den Mindestlohn und Überstunden werden natürlich ausbezahlt oder abgefeiert."
Zwar ächzt auch die "Alte Schmiede" unter der generellen Verordnungs- und Dokumentationsflut. Flexiblere Arbeitszeiten fordert auch Ernst Raspl, aber nur Jammern ist nicht sein Ding – lieber Handeln!
Nachdem Traum 1 so perfekt in Erfüllung gegangen ist, haben die Raspls auch noch einen zweiten Traum umgesetzt. Wo früher der alte Stadl stand, steht jetzt das Hotel "Traumschmiede" mit 35 Zimmern. Was für ein passender Name! Auch von der über 9-monatigen Genehmigungsphase und den vielen Auflagen haben sich die Wirtsleute nicht stoppen lassen (handeln statt jammern!).
Der Artikel im August 2016 im Gastronomie-Report erschienen.
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